Michael Priebe
Die Farbe des Eises

Eis - fester Aggregatszustand des Wassers, doch so wie dieses mehr ist als nur Flüssigkeit, ist es mehr nur als ein fester Stoff: Vielfältig in der Kühle seiner Farben, hart in den Kontrasten zu seiner Umgebung, flüchtig in der Beständigkeit seiner Formen ... ... fortwährend dabei, sich im Schmelzen zu verlieren und doch im Verlust der Form neuen Formen Gestalt gebend ...

Die Fotografie zeigt eine Gletscherhöhle mit ihrem Wasserabfluss. Das Schmelzwasser, auf dem der Gletscher talwärts gleitet, findet hier seinen Weg ins Freie, um in Form eines Baches weiter talwärts zu fließen, um in der Folge, sich mit anderen Bächen vereinigend, Flüsse entstehen zu lassen, die ihren Weg in den Ozean suchen und finden. Eis als fester Aggregatszustand des Wassers war mit dem Verschwinden des über lange Zeit typischen Winters in unseren Breiten fast schon aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden und führte in dieser Wahrnehmung nur noch "eine Randexistenz als unverzichtbares Kühlmittel in Gin-Tonic-Gläsern".
Mit dem Klimawandel, der damit verbundenen Erderwärmung und der Eisschmelze in Grönland, der Arktis und Antarktis, hat sich der Stellenwert des Eises von etwas zwischen Nützlichem bis Exotischem hin zu etwas Bedrohlichem verschoben. Letztlich steht die Transformation seines Aggregatszustandes hier nicht nur für eine neue Bedrohung, sondern im elementaren Sinne für den unablässigen Wandel alles Bestehenden, dafür dass Natur und Leben immer dynamisch und nie statisch sind. Nur in der Fotografie bleibt der Moment gefangen, der lange vergangen ist.
In diesem Wechsel seiner - des Eises - Daseinsform wird die Archaik von Entstehen und Vergehen sicht- und begreifbar und zugleich vielleicht auch das Transitorische unserer eigenen Existenz erfahrbar.

Michael Priebe
In Erwartung

Unser Bildgedächtnis zu den Auswirkungen des Klimawandels in der Arktis ist geprägt durch Ströme von Schmelzwasser, welches sich von Gletschern herab in das Meer ergießt, verbunden mit großflächigen Gletscherabbrüchen, die dann in einer Vielzahl von Eisbergen im Ozean südwärts treiben.
In dieser Arbeit zeigen sich diese Auswirkungen des Klimawandels eher hintergründig. Die Schlittenhunde sind seit alters her das traditionelle Fortbewegungsmittel der Inuit in der Winterzeit. Auch wenn die Hundegespanne zunehmend durch den Motorschlitten verdrängt werden, so sind sie doch in den meisten Dörfern noch präsent. Mit ihnen fährt er ins Nachbardorf und zur Jagd, vornehmlich zu der auf Robben, hinaus auf das Eis. Dieses ist jedoch heute so brüchig, dass es nur noch selten befahren werden kann, so dass die traditionelle Robbenjagd auf diese Weise im Winter kaum noch möglich ist. Der Unterhalt der Schlittenhunde ist sehr kostspielig. Steht nicht das selbst erlegte Robbenfleisch zur Verfügung, muss die Nahrung teuer in lokalen Supermarkt gekauft werden, was viele Inuit wirtschaftlich überfordert. Der Tourismus als zusätzliche Einnahmequelle ist bislang im Winter kaum ausgeprägt. Die Hunde leben das ganze Jahr über angekettet, so dass sie ihre Artgenossen nicht erreichen können, auf einem kleinen Terrain mitunter mit einer kleinen Hütte als Schutz. Dieses Bild zeigt die Tiere im Winter in der Erwartung der Nahrung, die hoffentlich kommt. Einige sitzen heulend auf ihrem Platz, während andere apathisch vor sich hindämmern.
Die grönländische Gesellschaft hat zahlreiche Probleme. Die meisten fußen in einem kulturellen Transformationsprozess, der viele Menschen überfordert und hilflos in Apathie versinken lässt. Nun tritt der Klimawandel als zusätzliche Herausforderung von außen hinzu. So ist dieses Bild emblematisch nicht nur für die Situation der Schlittenhunde, sondern für den Zustand der grönländischen Gesellschaft als Ganzes. Eine Kultur und mit ihr ihre Kulturtechniken verschwindet, und bevor sie ganz verschwunden ist, sehen wir einen Teil von ihr erstarrt im Warten, im Warten auf eine Zukunft, in der sie keinen Platz mehr haben wird.